„Schon vorbei geschwommen“ – vom richtigen Tempo
„Das muss wie aus der Pistole geschossen kommen!“ In der Schule lernen wir bereits gut zu funktionieren. Auf Knopfdruck geforderte Ergebnisse auszuspucken. Zackzack, schnellschnell – „wie aus der Pistole geschossen“. Kennen Sie das? Aus eigener Erfahrung? Aus der Lehrerinnen- oder Schülerinnen-Perspektive? Von Ihren Kindern?
Einerseits macht es Sinn, bestimmte Dinge, z.B. Kopfrechnen, so zu trainieren, dass wir nicht jedes Mal aktiv rechnen müssen, sondern die im Hirn gespeicherten Ergebnisse einfach abrufen können. Andererseits verlernen wir, uns die Zeit zuzugestehen, die wir brauchen, um gut zu sein. Um andere Lösungswege zu finden, als die routinierten Pfade. Um kreativ mit einer Problemstellung umzugehen. Da blockieren allzu häufig die Erwartungshaltung und das antrainierte maschinelle Funktionieren unsere Kompetenzen. Die Folge ist, das wir uns selber unter Druck setzen und uns abwerten, weil uns nichts Neues einfallen will.
Wo ist die Inspiration? Der Einfall? Der tiefe Einatem? Ja, Inspiration bedeutet zugleich der Einfall eines neuen Gedanken und das Einströmen des Atems. Stress jedoch verhindert das tiefe, gelassene Einatmen, wodurch das freie Denken blockiert wird.
Oh, wie schön ist Panama
„Schon vorbei geschwommen“ ist ein Zitat aus Janosch´s Kinderbuch Oh, wie schön ist Panama. Mehrfach schwimmt im Fluss eine Flaschenpost, auf welche der Erzähler die beiden Protagonisten, den kleinen Bär und den kleinen Tiger, hinweist. Vielleicht sei ja eine Schatzkarte darin. Doch Bär und Tiger lassen sie jeweils unbeachtet, was der Erzähler leicht tadelnd mit „schon vorbei geschwommen“ kommentiert.
Was sagt uns diese kleine Episode? Wenn man schnell ist und die Chance ergreift, kann man manches Schnäppchen machen. Wenn man es aber einfach passieren lässt und den Fokus auf etwas legt, was einem wichtiger ist, so übt man Gelassenheit.
Ohrenfällig
„Ich denke halt schneller, als ich sprechen kann“ ist eine Aussage vieler schnell Sprechender. Argumente wie „Ich habe so viel zu sagen“ und „die Zeit ist so knapp“ sind wohlfeil. Argumente, um uns selber unter Zeitdruck zu setzen und das schnelle Sprechen zu rechtfertigen oder zumindest zu erklären.
Wenn wir uns im Denken wenden von „was ich als Sprecher sagen will“ zu „wie ich als Hörer hören will“, wenn wir uns also nicht sprechend sondern hörend wahrnehmen, so wird das sinnvolle, gehirngerechte pausieren ohrenfällig.
Das (hohe) Sprechtempo ist nie das Problem. Das eigentliche Problem sind die fehlenden Sprechpausen! Micro-Pausen, welche das tiefe Atmen ermöglichen und den Inhalt für die Hörenden strukturieren. Und um ausreichend viele Micro-Pausen zu machen, müssen wir uns zunächst selber wahrnehmen und erlauben, uns diese Zeit zu gönnen. Ja, tatsächlich genehmigen wir uns häufig nicht die Zeit, um zu atmen – und setzen damit natürlich auch unsere Mitmenschen unter Stress. Heraus kommt eine Textpampe, ein Redeschwall, der mit zielführender Kommunikation wenig zu tun hat.
Es gibt Menschen, die sind schneller, andere langsamer. Schnell ist nicht besser oder schlechter. Jeder Mensch hat zudem Schwankungen durch die Tagesverfassung und wechselnde Anforderungen und Belastungen. Kein Mensch funktioniert wie eine Maschine immer im gleichen Tempo. So kann und darf auch das Sprechtempo wechseln. Man kann es ohnehin nicht allen recht machen – außer sich selbst.
Also: Nehmen Sie Ihr individuelles Tempo wahr und gönnen Sie sich und Ihren Zuhörenden Micro-Pausen!